Ferran Adriá ist im Moment vielleicht der bekannteste Koch weltweit und hat mit seinem in den 90ern entwickelten Konzept einer dekonstruktiven Kochkunst, auch bekannt als Molekularküche, die Welt der gehobenen Gastronomie revolutioniert. Zum ersten Mal seit der nouvelle cuisine wurde etwas wirklich neues präsentiert. Dabei war Adriás Idee eigentlich simpel: man nehme Produkte aus der Lebensmittelindustrie und lasse damit kreative Köche ihre Ideen verwirklichen. Das hat er dann mit Bravour umgesetzt und damit eine ganze Welle ausgelöst, die inzwischen auch in die Küchen ambitionierter Hobbyköche schwappt.
(Foto: Handelsübliches Zutatenset, mit dem ambitionierte Hobbyköche molekular experimentieren können. Preis ca. 90 €)
Die Gegenreformation schäumt
Jede Reformation provoziert eine Gegenreformation und wie schlecht die Stimmung inzwischen bei den spanischen Köchen ist, die auf ihre wenngleich hochelaborierte mediterrane Tradtionsküche schwören, wird in diesen Tagen deutlich. Dort hatte vor einer Woche der 3-Sterne-Koch Santi Santamaría bei einer Preisverleihung aus der Hand des spanischen Kulturministers für sein neues Buch La cocina al desnudo (Die nackte Küche) eine emotionale und polemische Rede gehalten.
Kernthesen Santamarías: Es gibt keinen Grund auf die Ergebnisse der Gelier- und Emulgatoren-Propheten stolz zu sein. Das Ganze sei nur ein Medienhype. Und obendrein gefährlich. Denn einige Substanzen wie zum Beispiel die Metilzellulose seien der Gesundheit abträglich. Er selbst sei einmal ein Freund von Adriá gewesen, aber jetzt wolle er nichts mehr mit ihm zu tun haben. Als Sohn von Bauern habe er einen tiefen Respekt vor der traditionellen Küche. Auch der Anspruch Kunst zu produzieren, lehnt er absolut ab. Die Köche „sollen keine Bilder malen oder Skulpturen machen, wenn sie ihrer Arbeit nachgehen. Um Bilder zu sehen, geht man ins Museum,“ sagte er.
Molekulare Reaktionen: Von Kritik bis Boykott
Diese Rede, die in der spanischen Presse als „Kriegserklärung gegen Adrias Spektakelküche“ kolportiert wurde, hat inzwischen eine heftige Gegenbewegung ausgelöst. Bei einer Zusammenkunft von 180 Gastronomen von Relais & Chateau waren etliche prominente Vertreter der molekularen Küche nicht erschienen, weil Santamaría seine Anwesenheit angekündigt hatte – sie boykottierten die Veranstaltung. Auch die spanische Sektion von Euro-Toques äußerte sich inzwischen kritisch über die Kampfansage von Santamaría. Vor allem der Vorwurf der Gesundheitsgefährdung wurde als besonders belastend eingeschätzt, da er irreführend sei. Die Branche reagiert bei derartigen Verdächtigungen eben besonders sensibel.
Wie der Streit, den alle gerne auf Spanien begrenzen würden, ausgeht, ist im Moment völlig offen. Klar ist nur, dass die der klassischen mediterranen Küche verpflichteten Herdkünstler offenbar langsam die Geduld verlieren und sich von den Modernisten in die Enge getrieben fühlen. Mit den entsprechenden Reaktionen.
Quelle: Artikel in La Vanguardia, Barcelona #1, #2
Anzeige:
[…] an die Spektakelküche – Streit um Molekularkost Weitere Artikel zum Thema: Donnerstaglinks #27 | Donnerstaglinks […]
[…] Kriegserklärung an die Spektakelküche – großer Streit unter Spaniens Spitzenköchen um Adriás… […]
Methyl, das Zeug heisst schlicht und ergreifend Methylcellulose. (http://de.wikipedia.org/wiki/Methylcellulose) Das Praefix metil stammt vermutlich aus dem spanischen Originalartikel.
Ob ich jetzt im Feinschmeckerzusammenhang noch erwaehnen sollte, dass es normalerweise als Tapetenkleister benutzt wird? Bei Wikipedia stehen noch ein paar interessante Einsatzgebiete beschrieben. 😉
Ach ja, schaedlich ist vermutlich nicht das Zeug selbst, sondern „mit-methylierte“ Eiweissbestandteile.
Danke für den Hinweis!
[…] Kriegserklärung an die Spektakelküche – großer Streit unter Spaniens Spitzenköchen um Adriás… […]